Mehr! Weniger! Unser Leben in der Dissonanz

Gehen wir es lebensnah an: Nahezu jede Nachrichtensendung ist umrahmt von Werbung, die uns suggeriert, was wir noch alles kaufen sollten – Reisen, Autos, Smartphones etc. – während die Nachrichten uns dann gemahnen, mäßiger zu Werke zu gehen: Das Klima stirbt gerade wegen uns und zu viel Plastik macht uns weich, nachdem es geholfen hat, die Meere sauer zu machen. Jeder von uns ist jeden Tag mit zwei machtvollen Botschaften konfrontiert, die sich offensichtlich widersprechen: Konsumiere mehr! Konsumiere weniger! Folge: Wir leben in einer permanenten Dissonanz.

 

Der psychologischen Definition nach ist die kognitive Dissonanz nicht schön, sie ruft einen unangenehmen motivationalen Zustand und eine gewisse Spannung hervor. Praktisch: Sie haben Schuldgefühle, wenn Sie den dicken SUV dann doch kaufen, aber sie kaufen ihn trotzdem. Auch der Flug nach New York bereitet etwas Bauchweh, aber na ja. Und wie jeder andere auch werden Sie eine Strategie finden, das für sich irgendwie vereinbar zu machen. Eingeschlichen hat sich gerade in den finanzstarken, gebildeten Gruppen mit dem größten Umweltbewusstsein der Ablass, eine moderne Form des kirchlichen Ablasshandels aus dem Mittelalter. Der vegane Vielflieger oder der Biopulli-Träger mit dem Energiesparhaus, der gleich zwei Autos im Carport stehen hat. Allein der CO2-Fußabdruck straft die psychologische Brücke Lügen: Das funktioniert, zumindest die Probleme dieser Welt betreffend, nicht. Es ist „magisches Denken“, wie es die vielen Klimakonferenzen geprägt haben, Symbolik soll das Klima mächtig beeindrucken – tut es aber nicht. Unterm Strich haben wir keine Klimaschutzpolitik, hätten wir eine, hätten wir weniger Emissionen – haben wir aber nicht.

 

“Wenn es zum Schwur kommt, wenn die ökologische zur sozialen Frage tritt, ist die ganze Warnerei in den Wind gesprochen.“ (Harald Welzer, Sozialpsychologe, im Tagesspiegel)

 

 

Was niemand wirklich wissen will …

 

… ist, dass wenn wir das angestrebte 2 Grad-Ziel tatsächlich bei gerechter Verteilung der Emissionen auf dieser Welt erreichen wollen, wir von 11 Tonnen CO2 Ausstoß laut Weltklimarat auf 2 Tonnen pro Person/Jahr kommen müssen. Und das in absehbarer Zeit. Das geht aber nicht mit Fluglust und Klima-Symbolik. Das geht nur mit einer kulturellen Umorientierung, oder ökonomisch übersetzt, mit „Degrowth“. Das wird kommen. Und die meisten spüren das auch. Unser Ressourcenverbrauch ist einfach absurd geworden, das gibt die Erde schon lange nicht mehr her. Die Wachstumslogik, die Ihnen noch von jedem politischen und ökonomischen Rednerpult gepredigt wird, ist absurd. Sie ist zu Ende, genau so wie der Glaube an den alles richtenden „Markt“ verschwindet. Daneben: Grünes Wachstum ist nun mal auch Wachstum, und das ist an Ressourcenverbrauch gekoppelt. Was uns fehlt, ist eine nächste „Große Erzählung“, die uns leitet und in die Zukunft führt.

 

Wir haben vergessen, Gemeinschaft zu genießen, Natur zu genießen, Ruhe zu genießen, Teilen zu genießen, Eigenproduktion zu genießen. Wir überreizen uns, bis oft nur noch Psychopharmaka helfen. Der "Konsum-Burnout" ist auf dem Vormarsch. So gesehen muss ein „Verzicht“ kein Verzicht sein, sondern eine Wiederentdeckung vergessener Werte, die so schlecht nicht waren. „Gestaltung durch Reduktion“ ist eine Kunst, die wir noch nicht so gut beherrschen, aber durchaus kultivieren können. Sie wird ganz sicher Teil der nächsten großen Erzählung werden, sie wird die Dissonanz auflösen, damit beginnen können Sie für sich gleich

 

Jetzt.  

 

Mehr zum Thema: 

Prof. Dr. Niko Paech: Wege zur Postwachstumsökonomie


Folgen Sie uns doch auch auf Facebook!