Der gesunde Menschenverstand: Geist ist geil!

Ein geklauter Begriff hat sich befreit!

 

Die Populisten hatten ihn sich unter den Nagel gerissen, aber sie sind nicht clever genug, ihn auch zu behalten: Der gesunde Menschenverstand ist den immer dümmer argumentierenden rechten Gestalten entwichen. Es war dann doch ein wenig zu einfach: Es gibt also ein Volk, als Einheit, das von einer Geld-, Macht- oder intellektuellen Elite unterdrückt und manipuliert wird. Populisten geben nun vor, die „Stimme des Volkes“ zu repräsentieren und zu sagen, was dieses Volk denkt und will. Und das, was dieses Volk unter anderem verbindet, ist der gesunde Menschenverstand. Insbesondere die AfD glänzte damit, diente der Begriff ihr doch auch dazu, sich unliebsame Komplexität und wissenschaftliche Erkenntnisse vom Leib zu halten. Legion sind die Zitate darüber aus den letzten Jahren, seit 2015 nahm die Verwendung des Begriffes massiv zu, 2018 wurde er im Parlament siebenmal so häufig verwendet wie noch vier Jahre früher. Immer getreu der Devise: Keep it simple and stupid! 


"Im Wahlprogramm der Grünen ist so gut wie kein gesunder Menschenverstand zu finden. Besonders absurd ist die Forderung, ab 2030 keine Kfz-Brennmotoren in Deutschland mehr zulassen zu wollen.“ (Alexander Gauland, AfD)  


Mittlerweile hat es sich aber bis in den letzten Winkel herumgesprochen, dass es so etwas wie ein Volk als homogene Einheit überhaupt nicht gibt. Es gibt unzählige Gruppierungen mit den unterschiedlichsten, zunehmend auch schrägen, Ansichten. Auch für die böse Elite gibt es jetzt ein großes Regal, an dem man sich bedienen kann, wenn man eine braucht. Deswegen: Wo immer gegen etwas demonstriert wird, schwingen sich die rechten Populisten jetzt an ihrer Volksliane über die Köpfe der Demonstranten und versuchen sich an die Spitze des Zuges zu setzen. Aber irgendwie funktioniert das auch nicht mehr so wirklich – das glaubt einfach keiner mehr. Der gesunde Menschenverstand hat sich befreit! 

Die Antwort auf wachsende Komplexität 

 

Unsere Welt ist überkomplex geworden, es ist schlichtweg unmöglich, sich über jede Frage ein umfassendes Bild zu machen. Im Umgang mit Komplexität gibt es kein besseres Instrument als die aktive Benutzung des gesunden Menschenverstands – allerdings nicht in seiner populistisch geklauten und vereinfachenden Form! Das ist reine Verdummung. Wir meinen die Mischung aus Lebenserfahrung, theoretischem Wissen und einer gewissen wohlmeinenden Gutwilligkeit. Sie zu kultivieren benötigt ein bisschen Zeit, man muss die Höhen und Tiefen der Liebe, der Selbstbehauptung, das Ringen zwischen Idealismus und pragmatischen Anforderungen und die eine oder andere Selbsterprobung schon mal mitgemacht haben, aus der sich dann die Lebenserfahrungen destillieren. 

 

Sie sollten den daraus resultierenden gesunden Menschenverstand am besten auf Ihrer mentalen Benutzeroberfläche ablegen, damit er Sie in jedem Moment anspringen kann. Aber bitte nicht kleinkariert, indem Sie alles hinterfragen – sondern indem Sie sinnvoll abkürzen, auslassen, was Sie ohnehin schon wissen, ignorieren, was offensichtlicher Unsinn ist, und hinterfragen, was sich allzu leicht aufdrängt – und letztendlich nur dem nachgehen, was Fragen in Ihnen aufwirft, auf die Sie eine fundierte Antwort wollen. So gelingt mit einem überschaubaren Zeitaufwand der gesunde Umgang mit Komplexität. Wir haben bereits in einem anderen Blogbeitrag beschrieben, wie zu viele Informationen letztendlich zu schlechten Ergebnissen führen - unser Gehirn schaltet ab einer gewissen Menge einfach ab. Wichtig ist es deshalb, gut zu portionieren und zwischendurch auch einfach mal abzuschalten! 


"Es ist nicht genug, einen guten Kopf zu haben; die Hauptsache ist, ihn richtig anzuwenden." (René Descartes)


Kultivieren wir doch unsere Schwarmintelligenz! 

 

Wir kennen das zu gut aus den letzten Monaten: Die Massenregression, die entsteht, wenn aus heterogenen Gruppierungen eine homogene Masse entsteht, die sich auf eine niedrige moralische Stufe begibt, auf der es nur noch Freund und Feind, ein dafür oder dagegen gibt. Sicher eine Reaktion auf Überforderung, die sich mit der Angst verbündet hat und ein Ventil sucht, um das psychologische Gleichgewicht wiederzufinden. Wir leben in einer schwierigen Welt. Vor so einer tumben, regressiven Masse muss man Angst haben. 

 

Aber da gibt es auch einen zweiten Aggregatszustand der Masse: Menschen fühlen sich zu einer übergeordneten positiven Idee, einer Vision hingezogen, die sie gemeinsam zu ihrem Projekt machen, in das sie ihre Ideen kreativ einbringen. Diese Kollektivbewegungen kennzeichnet dann der Begriff der Schwarmintelligenz, die entsteht. Sie kennen das aus der Biologie: Große Gruppen von Individuen, etwa Schwärme von Vögeln oder Fischen, koordinieren ihr individuelles Verhalten so, dass selbst bei geringer Information des Einzelnen die Gruppe als Ganzes sinnvolle Entscheidungen trifft. Vielleicht ein Beispiel dazu, dass Sie sicher kennen, den Publikumsjoker bei  Quizshows im TV: Der Kandidat kennt die richtige Antwort nicht und fragt das Publikum. Und obwohl Einzelne im Publikum die Antwort auch nicht unbedingt wissen, findet die Mehrheit im Schwarm erstaunlich oft die richtige Lösung. 

 

Einer solchen schwarmintelligenten Gesellschaft würde man gerne mehr Einfluss auf die Richtung und Ausgestaltung unserer Politik und Gesellschaft geben. Mit einer solchen Masse könnte man mit gutem Gefühl mehr direkte Demokratie wagen, die Bürgerbeteiligung stärken und so der wachsenden Demokratiemüdigkeit begegnen. Letztendlich würde das zu besseren Entscheidungen führen. Was wir dazu brauchen? Um im derzeitigen Sprachgebrauch zu bleiben: Eine Abflachung der Kurve von Unvernunft und Dummheit zugunsten eines hohen R-Wertes bei der Verbreitung des echten gesunden Menschenverstands …  

 

Es gibt viel zu tun - arbeiten wir dran. Geist ist geil! 

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