Der Konfliktstoff: Zwei Seelen, ach, in unserer Brust

Unsere Sehnsucht nach dem Einklang 

 

In seinem Buch „Klimapsychologie“ beschreibt der Psychologe Stefan Ruf u.a. die erstaunliche Tatsache, dass es angesichts der Umweltzerstörung und unserem Leiden an ihr fast keine Therapiemethode gibt, die sich mit dem Leiden der Natur oder unserem Leiden an ihrem Leiden beschäftigt. Und viele von uns, wenn sie innehalten und das Problem an sich ranlassen, leiden doch. Sie fühlen Verzweiflung, Hilflosigkeit, Schuld, Zukunftsangst für sich und ihre Kinder. Die spannende Frage dabei: Wer leidet da eigentlich in uns, nachdem wir in den letzten 100 Jahren eine massive Entfremdung von der Natur und Mitwelt entwickelt haben? Irgendetwas in unserer inneren Natur ist aber doch noch fähig, in Resonanz zu treten. Irgendetwas in uns sehnt sich nach einem Zustand des „Einklangs mit der Natur“. Es lebt offensichtlich noch eine Seite in uns, die mit der Natur fühlt und leidet und eine Beziehung zu ihr wünscht – genau so wie wir Beziehung brauchen zu anderen Menschen. Mag sie auch bei vielen unterernährt und verstümmelt sein – sie ist da. 

 

Sie werden diese „ökologische Seite“ in sich wahrnehmen, wenn Sie sich an ihren Lieblingsorten aufhalten; seien es Berge, ein See, das Meer, ein Wald oder ganz einfach das eigene Stück Garten. Sie kommen dort in Resonanz mit der Natur und befinden sich „im Einklang“. Meldet sich diese Seite in der Hektik des städtischen Alltags, fühlen wir uns plötzlich entfremdet. Noch drastischer ist es, wenn diese Seite in uns aktiv ist und wir einen völlig vermüllten Strand oder sterbende Bäume sehen – dann überfallen uns Gefühle von Verzweiflung, Traurigkeit und Wut. Der essenzielle Punkt: Die „moderne“ Seite in uns und die ökologische vermischen und verstricken sich in unserem Alltag zu einem kaum durchdringbaren Knäuel – ein großer Anteil von Lähmung, Verleugnung und Widersprüchlichkeit, von unseren Projektionen und Depressionen lässt sich eigentlich nur damit erklären. Auch wenn unsere  Temperamente und Charaktere unterschiedlich sind, sind wir dennoch alle „Schicksalsgenossen“, denn wir tragen diese Verstrickung und diesen Zwiespalt in uns. Ohne das zu verstehen werden wir es nicht ändern können. 

            Stefan Ruf ist Facharzt für Psychosomatik / Psychotherapie
Stefan Ruf ist Facharzt für Psychosomatik / Psychotherapie

Zwei Seiten in uns, die nicht so recht zusammen passen

 

Die „moderne“ und die „ökologische“ Seite in uns passen einfach nicht zusammen. Auch wenn wir wissen, dass wir beide Seiten in uns tragen, treten sie meistens nicht gleichzeitig auf, sondern hintereinander. Die moderne Seite zeitigt den Widerwillen, auf Bequemlichkeit und Luxus zu verzichten und die Angst vor Neuem. Die ökologische fügt Scham- und Schuldgefühle hinzu, denn wir spüren sehr genau, dass wir oft nicht so handeln, wie wir es unserer Mitwelt, unseren Kindern und auch uns selber schuldig wären. Und Schuldgefühle lähmen und treiben in die Resignation. Dazu addiert sich letztendlich unsere menschliche Beharrungstendenz, die Trägheit der Gewohnheit. Was also tun? Wie kommen wir aus dieser Verstrickung heraus? 

 

Um zu gesunden, müssen wir uns diesem inneren Konflikt stellen und genau hinschauen auf die „zwei Seelen in unserer Brust“. Dazu benötigen wir unsere gesamte innere Aufmerksamkeit: Achtsamkeit oder auch Geistesgegenwart. In einer Art inneren Dialog geht es dabei um ein gegenseitiges Verstehen und Annähern und Verwandeln. In der Ökopsychotherapie nennt man diesen Prozess auch Verzweiflungsarbeit. Dieser Weg ist alles andere als leicht, Gefühle von Einsamkeit und Isolation werden dabei hervortreten – man sollte diesen Weg deshalb nicht alleine gehen. Suchen Sie sich am besten irgendeine Form von Gemeinschaft dafür. Wenn Sie sich dem Konflikt aber stellen, kann Erstaunliches geschehen: Es fängt an, etwas miteinander zusammenzuwachsen, was scheinbar nicht zusammengehört. Es kommt zu einem Austausch der zwei Seiten in Ihnen, vielleicht mehr unbewusst als bewusst. Und indem dieser Austausch stattfindet, findet eine Verwandlung, eine „Umschmiedung“ statt. Man kann das fast einen alchemistischen Prozess nennen. In dieser „Kernschmelze“ steckt unglaublich viel Energie … 

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Mythos Moderne: Zu viel war nicht genug!

Wir glauben immer noch an ein Wirtschaftssystem, das auf ständigem Wachstum und Konsum basiert. Und zwar für alle der beinahe 10 Milliarden Menschen auf diesem einen begrenzten Planeten, der das weder hergibt noch die Kraft der Kompensation für all die Schäden hat, die wir dabei anrichten. Der Motor dabei: Geld, das wachsen will, koste es was es wolle.